Bewegte Bilder und Musik für die Toten der Konzentrationslager

Zur Musik

…“wenn Zeit und Raum enden und wir in die immerwährende Gegenwart eingehen…“  Olivier Messiaen

Anfang 1941 vollendete der Franzose Olivier Messiaen das Quatuor pour la fin du temps als Insasse des in Görlitz-Moys gelegenen deutschen Kriegsgefangenenlagers Stammlager VIII-A. Es wurde Messiaen ermöglicht zu komponieren, auch ein Klavier wurde ihm zur Verfügung gestellt; in den Waschräumen hielt man die Proben ab. Die ungewöhnliche Instrumentierung ergab sich aus den im Lager verfügbaren Musikern, dem Klarinettisten Henri Akoka, dem Geiger Jean Le Boulaire und dem Cellisten Ètienne Pasquier. Am 15. Januar 1941, bei bitterer Kälte, fand die Uraufführung des kompletten Werkes im Lager Görlitz vor ca. 400 Kriegsgefangenen statt; der Komponist selbst übernahm den Klavierpart. Die französische Erstaufführung gelang bald nach Messiaens Rückkehr nach Paris, am 24. Juni 1941. Neben Pasquier und Messiaen spielten in dieser Aufführung der Geiger Jean Pasquier und der Klarinettist André Vacellier.

Während der Zeit der Besatzung sind die Konzerte der Pleiade ein Ort des Widerstands gegen die Besetzung, aber auch gegen den künstlerischen Konformismus…mehrere von Messiaens Werken werden hier uraufgeführt …

Zum Film

„Eine bodenlose Vergessenheit wird in unsere Gegenwart gezogen und sucht den Verursacher in uns. Weit davon entfernt als Trickfilm zu gelten, holt uns diese Bilderflut aus den Untiefen der Bewusstlosigkeit. Jedes Bild strömt wie ein Gedanke hervor und drängt uns zur Handlung…“           Peter Pfitzner, Bildhauer                                                                      hier zum vollständigen Text

Der Kunstfilm Für das Ende der Zeit entstand aus mehreren tausend animierten Zeichnungen. In  Anlehnung an die Idee in der Musik von Olivier Messiaen erklärt er Menschlichkeit und Mitgefühl, sowie Kreativität im eigentlichen Sinne (schöpferische Kraft im Denken und Handeln) zu unantastbaren Bereichen und zur Möglichkeit des Widerstands bei gleichzeitigem Gefangensein in menschenverachtenden Systemen.

Raum und Zeit scheinen sich hier in einem ständigen Auflösungsprozess zu befinden. Die Stimmung des Films manifestiert sich im fortwährenden Entstehen und Verschwinden, wie eine Spur, eine Erinnerung, ein Gedankenstrom. Die Technik des Radierens und die Verwendung der radierten Blätter, auf denen immer wieder Neues entsteht und wieder ausgelöscht wird, spricht von schöpferischer Kraft und un-menschlicher Zerstörung.

Das Buch der Toten wird aufgeschlagen und es kann darin gelesen werden. Es  zieht sich wie ein Erinnerungsfaden durch den Film. Es wird immer wieder (filmisch) darin geblättert und schließlich dem Publikum übergeben:

1. Liturgie de cristal/ Kristallene Liturgie (Geige, Klarinette, Violoncello, Piano), 2.42 Min

Liturgische Wiederholung des Themas Geburt – alles ist offen

2. Vocalise/ Vokalise (Geige, Klarinette, Violoncello, Piano), 5.30 Min

„Lied ohne Worte“ – Bilder zu Themen des im KZ-Dachau von den Häftlingen gesungenen „Dachau-Liedes“ – schockierende Ernüchterung – Verlust der Sprache

3. Abime des oiseaux/ Abgrund der Vögel (Solo: Klarinette), 6.57 Min

Ständig drohende Gefahren von Deportation, Hungertod, Kälte, Krankheit, Folter, Ermordung – Todesnähe als Leben am Abgrund – Vögel als Todesboten – die Zeit löst sich auf

4. Intermède/ Zwischenspiel (Geige, Klarinette, Violoncello), 1.40 Min

Irritierende Verknüpfung des KZ-Orchesters im Film mit dem tatsächlich spielenden Trio auf der Bühne – absurdes Intermezzo zwischen Abgrund und Menschlichkeit – der Verstand verliert sich

5. Louange à l`éternité de Jésus/ Lobpreis der Ewigkeit Jesu (Violoncello, Piano), 10 Min

Menschlichkeit unter den Häftlingen im Lager – geheime Briefe, Zeichnungen, Informationen und verbotene Literatur versteckt in Büchern der KZ-Bibliothek, teilen, helfen, retten, sich den Anweisungen der KZ-Aufseher widersetzen – kreativer Widerstand

6. Danse de la fureur pour les sept trompettes/ Tanz des Zorns für die Posaunen der Apokalypse (unisono: Geige, Klarinette, Violoncello, Piano), 6.15 Min

Die Taktung der apokalyptischen Bilder (8) von Leichenbergen im Rhythmus der Musik verdeutlicht die Zynik in der Unmenschlichkeit und die brutale Systematik in der Vorgehensweise der Mörder –  die Hoffnung stirbt

7. Fouillis d`arcs-en-ciel/ Wirbel der Regenbögen für den Engel der Verkündigung (Geige, Klarinette, Violoncello, Piano), 7.05 Min

Fiktive, symbolische Geschichte des Buchs der Toten, das von einem überlebenden Jungen durch die Zeit ab 1945 getragen wird, durch Kriege, Massaker, Grausamkeiten, bis heute – Bilder, die wir aus den Medien kennen: Korea, Vietnam, den Golfkriegen, Ruanda, Zwickau, Syrien – filmische Übergabe des Buchs an das Publikum – Auflösung des Raums

8. Louange à l´immortalité de Jésus/ Lobpreis der Unsterblichkeit Jesu (Duo: Geige, Piano),    7.52 Min

Das Buch der Toten als fiktives bewegtes Album mit Familienfotos von Ermordeten – loop

gesamt ca. 55min

Zum Projekt

„Wunderbares Projekt, ich bin tief bewegt. Dass auch 65 Jahre nach Kriegsende solche Szenen in Deutschland gezeigt werden, freut mich. Die Angst bei uns Zeitzeugen sitzt tief: denn wer wird noch über die Shoa reden, wenn wir tot sind…“        Uri Chanoch, Zeitzeuge und Überlebender; gest. 2015

Das Projekt Für das Ende der Zeit entstand im Januar/Februar 2012. Die Musikerinnen Elena Rachelis und Sofija Molchanova und die bildende Künstlerin Esther Glück entwickelten gemeinsam die Idee, Musik und Bildende Kunst mittels eines Konzerts mit Film zu verbinden: zur Erinnerung und zu Ehren der Toten der Konzentrationslager.

Die Musikerinnen wussten um die musikalische Intensität des Quatuor pour la fin du temps von Olivier Messiaen. Esther Glück erarbeitete anhand der acht Sätze das Konzept zum Film, sowie daraufhin mehrere Tausend Zeichnungen, die Kameramann Tom Gottschalk zum Film animierte.

Die Kombination Film und Live-Musik schafft ein intensives Erleben der Fragestellung an das Publikum nach der eigenen schöpferischen wie auch zerstörenden Kraft.

Auf Initiative und Einladung der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und in Kooperation mit dem Verein Kunst wider das Vergessen fand am 11.November 2012 die Uraufführung des Projekts im Senatssaal des Bayerischen Landtags in München statt.